WIE SCHREIBT MAN MUNDART ? (1)

WIE SCHREIBT MAN MUNDART ? (1)

Die Kulissen von Orthal

Nach einem ersten Schritt in die richtige Richtung in Form der « Charte de la graphie harmonisée des parlers alsaciens » (2003) wurden zwischen 2004 et 2007 Diktate im ganzen Elsass organisiert.  Archivfoto L'Alsace /Thierry GACHON

 

« Elsassisch schribt me doch nìt ! » Komischerweise gib es heutzutage noch Leute, die das behaupten. Gewiss, ein Dialekt ist vor allem mündlich. Aber was wäre aus all den wunderbaren Texten unserer elsässischen Dichter, Autorinnen und Autoren geworden, wenn sie nicht schwarz auf weiß vorhanden wären ?

Nach mehr als 100 Jahren, wo jeder Autor, jede Autorin, nach eigenem Gutdünken geschrieben hat, wurde es langsam Zeit, die Schreibweise des Elsässischen zu harmonisieren. Nach einer längeren Testphase mit Diktaten im ganzen Elsass haben Edgar Zeidler, Präsident der Vereinigung AGATe (Académie pour une Graphie Alsacienne Transfrontalière) und Danielle Crévenat-Werner, Vize-Präsidentin, das Buch Bien écrire l’alsacien de Wissem-bourg à Ferrette, 2008, beim Verlag Jérôme Do Bentzinger herausgebracht.

Der Leitfaden war und ist heute noch : « So nah wie möglich an der Aussprache, so nah wie nötig an der deutschen Rechtschreibung ». Eine Hauptrolle spielte dabei eine wichtige Frage der Autoren : Auf Elsässisch schreiben, wozu und für wen ?

Wenn wir für uns selbst oder für einen kleinen Kreis von Dialektkennern schreiben, dann können wir schreiben, wie wir wollen, nach selbst erdachten Regeln. Doch wenn wir unsere Sprache weitergeben wollen und uns an ein breiteres Publikum wenden, dann ist die Sache eine Andere, insbesondere wenn wir uns an Leser wenden, die außerhalb unserer Sprachregion leben. Wenn z. B. Straßenschilder, Plakate, Werbetexte, Gedichte oder Prosatexte verfasst werden, wenn Elsässisch unterrichtet wird, muss ein Weg gefunden werden, der zur Harmonisierung der unterschiedlichen, oft widersprüchlichen Schreibweisen führt.

Weil die Priorität die Lesbarkeit und die Verständlichkeit ist, kann nur die « Dachsprache », das Hochdeutsche, der gemeinsame Nenner für unsere Sprachvariationen sein. Deswegen ist der Bezug aufs Schriftdeutsche das Fundament des Orthal-Systems.

Doch das Elsässische ist kein Hochdeutsch, daher erfolgt der Aufbau oft in einem anderen Baustil als Standarddeutsch.

Darüber hinaus ist Orthal ein Wegweiser für alle, die Elsässisch mit einer gewissen Kohärenz schreiben möchten und alles andere als ein strammes Regelwerk, das sich auf ein künstliches, standardisiertes Elsässisch stützen würde. Orthal bietet nämlich in fast allen Situationen Alternativen zur empfohlenen Schreibweise, damit keiner das Gefühl hat, in ein enges Korsett eingezwängt zu werden. Jeder soll sich in einem breit gestrickten Rahmen zurechtfinden. Wer glaubt, Orthal sei ein verkappter Versuch, Elsässisch zu vereinheitlichen, ist auf dem Holzweg. Elsässisch ist und soll keine standardisierte Sprache sein bzw. werden. Sollte trotz allem dies eines Tages der Fall sein, würde der Reichtum und die Vielfalt dieser bildreichen und schönen Sprache verloren gehen.

Orthal[1] passt sich quasi an jede Sprachvariation an, sei es Strosbùrjerditsch, Colmerditsch oder Mìlhüserditsch. Ein Sundgauer kann es benutzen gerade so gut wie jemand aus dem Krummen Elsass oder aus der Gegend von Wissembourg. Ein Dialektkenner und Orthalbenutzer ist sogar in der Lage, den Autor im Originalton zu lesen, ohne den Text in sein persönliches Elsässisch zu übertragen.
Das, was allerdings vereinheitlicht ist, sind die Schriftzeichen und deren Entsprechung zu den weitgehend noch vorhandenen Lauten und Aussprachen, damit alle Leser und Autoren wissen, welchem Laut die Orthal-Schriftzeichen entsprechen.
Da unsere Dialekte alemannischen und fränkischen Ursprungs sind, schien es logisch und historisch sinnvoll, überwiegend die Buchstaben des deutschen Alphabets zu verwenden. Dazu gesellen sich ein paar französische Akzente und Schriftzeichen, die in gewissen Situationen unabdingbar sind, wie in Variationen von Aussprachen : Lehrer, Lèhrer, kei,  , kein, oder in ganz bestimmten Zwielauten (Diphthongen): drèi, dréi , drei; rài , roh.
Und wenn ein Laut in keinem der zwei Sprachen vorkommt, muss man eben ein neues Schriftzeichen einführen. Dies geschah mit dem < ì >, welches für das überoffene /i/ steht, ein Laut zwischen dem geschlossenen /i/ von Igel und dem geschlossenen /e/ von sehr : Kìnd , Kind; Frìnd , Freund; Glìck , Glück; Fìnd , Feind.
Außerdem musste Orthal für das überoffene /e/, welches sich ungefähr so ausspricht wie engl. at, cat, bad oder frz. in, rein, pain, ein entsprechendes Schriftzeichen finden. Die Wahl fiel auf < ë >: Hëmet , Heimat.
Und für das sehr dunkle /a/, welches sich ungefähr wie frz. en ausspricht, greift ORTHAL auf < à > zurück: Mànn , Mann, làngsàm , langsam. Die Begründung ist einfach und sinnvoll: Ein diakritisches Zeichen deutet im Vergleich zu der Standardaussprache auf eine abweichende Aussprache hin. Somit ist < à > kein /a/. Diese Unterscheidung ist wichtig, verdeutlicht in den Beispielen dànke , danken, und danke , denken.

Edgar Zeidler


[1] ORTHAL Orthographe alsacienne, elsässische Rechtschreibung